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Kolumbien
Palomino

Der explodierende Strandort

Lesedauer: ca. 8 Minuten

Wir liegen entspannt am Strand, als ich plötzlich ein lautes „Plopp“ und dann einen Schrei höre. Was war das denn?

Über uns befindet sich eine schattenspendende Palme, und von dieser ist eine Kokosnuss direkt auf Nadine gefallen!
Dass so etwas theoretisch möglich ist, das ist klar, aber dass es auch tatsächlich passiert, damit haben wir nicht gerechnet. Ähnlich wie beispielsweise ein Raucher ja von der Gefahr eines Lungenkrebses und anderer schwerer Folgen des Rauchens weiß, aber irgendwie davon ausgeht, dass es ihn schon nicht treffen wird.

Jedenfalls hat Nadine trotz der immensen Schmerzen sprichwörtliches Glück im Unglück gehabt: Die Kokosnuss ist ein paar Zentimeter unter ihrem Kopf aufgeschlagen. Nach kurzer Zeit wird also hoffentlich nur noch ein kokosnussgroßer blauer Fleck an diesen Vorfall erinnern.

Aber auch unabhängig davon, dass hier Kokosnüsse durch die Luft fliegen, ist Palomino ein recht eigenartiger Ort. Vor etwa vier Jahren war ich das erste Mal hier, und seitdem ist die Anzahl der Hostels, Bars und Restaurants auf das Zehnfache angewachsen. Mindestens. Und immer noch entstehen an jeder Ecke neue Gebäude. Mittlerweile wachsen neben den kleinen Hostels riesige Hotelanlagen aus dem Boden. Dieses unkontrollierte und völlig chaotische Wachstum wird solange weitergehen, bis Palomino irgendwann explodiert. Wer Palomino noch besuchen möchte, sollte sich also beeilen.

An noch unbebauten Flächen hängen „Zu verkaufen“-Schilder, auch dort wird also demnächst ein Hotel stehen. Mit Ausnahme eines einzigen Grundstücks, auf dem hinter einem Zaun ein großes Tor mitten im Nichts steht und unter einem Baum ein Schild angebracht ist, auf dem der vermutlich ziemlich genervte Besitzer ausdrücklich darauf hinweist, dass dieses Privatgrundstück weder verkauft noch verpachtet noch getauscht wird.

Jedenfalls scheint der Tourismus hier ganz offensichtlich zu boomen. Palomino gilt als der angesagteste Strandort an der kolumbianischen Karibikküste. Allerdings passt zu diesem vermeintlichen Boom nicht ganz, dass die meisten Lokalitäten hier die ganze Zeit über nahezu leer sind. Und sowieso passt hier irgendwie nichts zusammen: Die einen Läden oder Stände verlangen schon touristengerechte Mondpreise, andere verlangen für das Gleiche noch die üblichen kolumbianischen Standardpreise. Für einen Bananen-Shake kann man beispielsweise entweder 18.000 Peso oder 3.000 Peso ausgeben. Die Zimmerpreise variieren zwischen umgerechnet kaum mehr als zehn Euro und über hundert Euro, wobei kein Zusammenhang zwischen Preis und Art der Unterkunft zu erkennen ist. Wenn man über das Internet vorbucht, zahlt man zudem in etwa das Doppelte des vor Ort aushandelbaren Preises.

Nach viel zu langer und schweißtreibender Unterkunftsuche landen wir in einem Hostel mit Swimmingpool, wo wir den Preis unseres Zimmers selbst bestimmen können: Auf die Frage, welchen Preis wir uns vorstellen könnten, nennen wir 50.000 Peso, das sind knapp dreizehn Euro, und genau dafür bekommen wir das Zimmer. Der Chef des Hostels ist von morgens bis abends zugekifft, wie wir bald feststellen werden, und vermutlich erscheint ihm diese Preispolitik schlichtweg als die stressfreieste Lösung.

Natürlich hat die Unterkunft auch ein paar Haken: Zum Beispiel rieselt nachts Sand und Holzspäne vom Obergeschoss nach unten in unser Zimmer. Immerhin siebt das Moskitonetz über unserem Bett alles Grobkörnige aus, so dass nur noch Feingranulat auf dem Kopfkissen landet. Aber am nächsten Tag wechseln wir ohnehin das Zimmer: Ein kolumbianisches Paar hat über Booking.com aufgrund der Fotos genau unser Zimmer gebucht, und obwohl ihnen als Ersatz ohne Aufpreis eine kleine Hütte angeboten wurde, die viel größer, schöner und eigentlich auch viel teurer ist als das Holzspäne-Zimmer, bestehen sie auf dieses. Wir jedenfalls ziehen gerne in diese Hütte um.

Am nächsten Tag geht abends das Wasser im Hostel aus. Mit einem Eimer holen wir Wasser für die Klospülung aus dem Pool, was nun kein nennenswertes Problem darstellt, allerdings ist uns noch nicht klar, wie wir nun am besten duschen sollen. Aber wie durch Zauberei löst sich dieses Problem über Nacht und am nächsten Tag ist der Wassertank auf dem Dach wieder gefüllt.

Zum Abendessen gehen wir an einen Obststand, oder genauer gesagt war das vor vier Jahren noch ein Obststand, mittlerweile haben die Besitzer um diesen Stand herum ein Restaurant aufgebaut.
Ein Hund kommt an den Tisch und bettelt. Während er auf unser Essen starrt, zuckt sein Kopf immer wieder heftig nach rechts. Wir tippen auf Tourette und rechnen damit, dass er gleich „Arschloch“ oder „Fotze“ bellt.
An den Nachbartisch lehnt sich ein Bettler von außen an, hält stumm eine Blechdose in den Raum und schaut alle Restaurantgäste mit einem derart bösen Blick an, dass einem Angst und Bange werden kann.

Wie bereits erwähnt, Palomino ist ein recht eigenartiger Ort.

Zudem gibt es Palomino in zwei verschiedenen Ausführungen: Da ist zum einen das touristische Palomino, das sich vom Strand aus nach oben ausbreitet, und dann das ursprüngliche Palomino, das wie ein Tropfen an der Landstraße hängt. Beide Palominos sind mittlerweile ineinander verwoben und man kann mit wenigen Schritten zwischen ihnen wechseln, aber es kommt einem dabei vor, als gehe man von einer Welt in eine andere.

In dem Tropfen-Palomino, also dem nicht touristischen, gibt es ein Fitnessstudio, und ich lasse mich überreden, es auszuprobieren. Ein wenig Bewegung nach einem Strandtag kann schließlich nun wirklich nicht schaden.
Ich glaube, ich habe noch nie bei höheren Temperaturen und in beeindruckenderer Kulisse trainiert. Und zudem kommt es üblicherweise recht selten vor, dass einem in einem Fitnessstudio Hühner und Hunde um die Beine laufen.

Der eigentliche Volkssport in Palomino ist aber das sogenannte Tubing. Das habe ich vor vier Jahren hier praktiziert und es funktioniert so: Man leiht sich einen großen Gummireifen aus, kauft sich ein paar eisgekühlte Dosen Bier und lässt sich damit auf einem Motorrad in den Wald fahren. Dort spaziert man eine Viertelstunde bis zum Fluss, legt sich dann auf den Gummireifen und lässt sich eine gute Stunde lang den Fluss abwärts bis zum Meer treiben. Und während die wunderschöne tropische Kulisse an einem vorbeizieht, genießt man das mitgebrachte Bier. Ein wirklich sehr angenehmer Zeitvertreib.

Am Meer angekommen kauft man dort an einem der Stände leckere gegrillte Käsebananen und läuft danach mit seinem Gummreifen im Arm einen Kilometer den Strand entlang zurück zum Dorf.
Und somit sieht man in Palomino dauernd Leute mit Gummireifen im Arm durch die Gegend laufen, was auf Neuankömmlinge womöglich etwas verstörend wirken kann.

Zumindest war das vor vier Jahren so, denn heute sehen wir so gut wie niemanden mit Gummireifen. Liegt das an den mittlerweile deutlich angestiegenen Preisen der Gummireifen-Verleiher? Oder daran, dass die Käsebananen-Stände durch überteuerte Restaurants ersetzt wurden?
Jedenfalls sehen wir nur zwei kleine Gruppen, die mit Gummireifen aus dem Wasser steigen, und die werden von einem Führer begleitet. Wieso das denn? Braucht man mittlerweile einen Führer, damit man sich auf dem Fluss nicht verirrt?
Wir werden es nicht mehr herausfinden und setzen uns lieber an eine Strandbar.

Land:Kolumbien
Ort:Palomino
Reisedatum:02.03.2020 - 05.03.2020
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:08.03.2030
Leser bisher:267

Deine Meinung zu dieser Reiseerzählung:


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Nena Koncic
Tolle Geschichte...! Nadine wünsche ich baldige Erholung..😉😊LG
Oliver T.
Wieder klasse geschrieben, Danke! An Nadine gute Besserung und Sie sollte mal in Erwägung ziehen Lotto zu spielen... die Quote ist ja ähnlich....🤣
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