Ein Bus fährt mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Lautes Hupen. Wir retten uns gerade noch rechtzeitig von der Straße. Möglicherweise war es doch nicht die allerbeste Idee, mit unseren zwei klappernden Bananenfahrrädern auf dieser vielbefahrenen Landstraße unterwegs zu sein.
Schuld daran, dass wir hier unterwegs sind, ist das Faultier, das in Zeitlupentempo den Baum vor unserer Unterkunft hinauf geklettert ist. Sowie das andere Faultier, das es sich über dem Sonnenschirm der Strandbar gemütlich gemacht hat.
Nadine wollte nun mehr über diese sympathischen Tiere herausfinden. Und unter den ersten Treffern in Google war ein Bericht über eine Faultier-Auffangstation, die sich zufälligerweise direkt in unserer Nähe befindet, keine fünfzehn Kilometer entfernt.
Da müssen wir natürlich hin, denken wir, und gehen los, um uns Fahrräder für den Weg dorthin auszuleihen.
Der Besitzer des Fahrradverleihs rät uns allerdings von unserem Vorhaben ab: Seine Fahrräder wären in keinem guten Zustand, sagt er uns. Er möchte es ungern riskieren, dass wir weit weg vom Dorf beispielsweise mit einer kaputten Kette liegenbleiben.
Aber natürlich lassen wir uns nicht abschrecken. Und somit sind wir nun unterwegs auf dieser Landstraße, quer durch Bananenplantagen, auf zwei Bananenfahrrädern.
Und einige Kilometer später, kurz nach einer völlig maroden Brücke, über die sich die Autos in Schritttempo quälen, sind wir an unserem Ziel angelangt, der Auffangstätte für Faultiere.
Dort werden Faultiere betreut, die in der Wildnis nicht überleben würden.
Alle Faultiere, die uns vorgestellt werden, werden diese Auffangstation leider nie mehr verlassen können: Hier in der Auffangstation können sie mit ihren Verletzungen und Krankheiten gut leben, draußen wären sie in kürzester Zeit tot.
Wir bekommen von unserem Führer eine geballte Ladung Informationen über Faultiere. Selbstverständlich kann ich mir nur einen Bruchteil davon merken, aber selbst das Wenige ist interessant genug.
Zunächst einmal lernen wir, dass der Name „Perezoso“ (was dem deutschen „Faultier“ in der Bedeutung entspricht) völlig ungerechtfertigt ist. Die Faultiere sind nicht faul, ganz im Gegenteil, denn ihr Verhalten ist vielmehr optimal darauf ausgerichtet, möglichst wenig Energie zu verbrauchen, und das ist eine gewaltige Leistung.
Eine interessante Sichtweise.
Das denkt sich vermutlich auch die ziemlich dickliche Frau aus unserer Gruppe und setzt sich erstmal hin.
Aber im Gegensatz zu so manchen Mitmenschen, die es in dieser Disziplin ebenfalls schon weit gebracht haben, haben die Faultiere einen guten Grund für ihr Verhalten: Sie ernähren sich völlig energiearm, haben keinerlei Fett und sogut wie keine Muskeln, da ist energiesparendes Verhalten also das einzig sinnvolle.
Und daher gehen die Faultiere beispielsweise nur einmal die Woche aufs Klo. Was übrigens auch der einzige Anlass für sie ist, die Bäume zu verlassen.
Auch die Fortpflanzung darf natürlich nicht allzuviel Energie verbrauchen. Und so dauert der Sex bei Faultieren nur rund 40 Sekunden. Aus Energiespargründen bleiben Mann und Frau danach noch ein paar Stunden auf demselben Baum, bevor jeder wieder seinen eigenen Weg geht.
Diese 40 Sekunden reichen aus, um zuverlässig Nachwuchs zu zeugen. Ein weiterer Versuch wäre schließlich unnötige Energieverschwendung.
Elf Monate später rollt sich die werdende Faultier-Mama zusammen und wartet kurz, bis ihr Baby geboren ist. Dann packt sie es an ihre Brust und geht weiter. So eine Geburt ist nichts, was Faultiere aus der Ruhe bringen könnte.
Immerhin, sollte ein Faultier-Baby mal vom Baum fallen, sammelt es seine Mama trotz des großen Aufwands wieder vom Boden auf. Das macht sie sogar ein zweites Mal. Und auch ein drittes Mal. Aber dann ist Schluss.
Wenn das Kind mehr als dreimal vom Baum fällt, stimmt mit ihm etwas nicht, denkt sie sich, also wäre es verschwendete Energie, sich weiter um dieses Kind zu kümmern.
Die einzige Überlebenschance für das kleine Faultier wäre dann nur noch die Auffangstation. Die es dann aber nie mehr verlassen könnte, denn ohne ein Jahr zusammen mit seiner Mama hat es zu wenig gelernt und ist nicht in der Lage, ein Faultier zu sein.
So traurig die einzelnen Faultier-Schicksale auch sind, wir verabschieden uns nun und machen uns mit unseren Fahrrädern auf den Rückweg.
Wir sind mittlerweile recht geübt darin, im richtigen Moment von der Straße zu fahren und danach wieder hinauf, und somit können wir problemlos verhindern, von einem der riesigen Lastwagen über den Haufen gefahren zu werden.
Die Autofahrer halten beim Überholen konsequent einen Sicherheitsabstand von gefühlt zwei Zentimetern ein, immerhin.
Jeder hat es eilig und möchte möglichst schnell an sein Ziel kommen: Es ist langes Wochenende und das ganze Land ist unterwegs zum Meer. An den ansonsten leeren Stränden ist nun die Hölle los.
Aber es gibt jemanden, der bei all dem Trubel die Ruhe bewahrt: Kurz vor unserer Unterkunft hängt ein Faultier gemütlich an einem Strommast und lässt sich durch nichts und niemanden stören. Schließlich wäre jede Aufregung nur völlig unnötige Energieverschwendung.
Land: | Costa Rica |
Ort: | Cahuita |
Reisedatum: | 28.11.2021 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 29.11.2021 |
Leser bisher: | 75 |
Hoffentlich habe ich alle Informationen über Faultiere korrekt wiedergegeben. Falls nicht, freue ich mich über Korrekturhinweise unten in den Kommentaren ;)
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