REISE
VERSUCH
14 Fotos
Bolivien
Copacabana

Gesegnete Autos

Lesedauer: ca. 5 Minuten

In unübersichtlichen Kurven überholen, mit abgefahrenen Reifen auf regennasser Fahrbahn kräftig Gas geben, ohne Abbremsen eine Passstraße hinunterbrettern - all das ist in Bolivien gefahrlos möglich.
Und die vorbeugende Wartung eines Fahrzeugs oder das Reparieren defekter Teile erübrigt sich in diesem faszinierenden Land. Denn hier sind die Autos vor schweren Unfällen und gravierenden Pannen geschützt. Dank der Jungfrau von Copacabana.

Allerdings muss man hierfür zunächst den beschwerlichen Weg nach Copacabana am Titicaca-See auf sich nehmen, um dort sein Fahrzeug segnen zu lassen.

Das möchten wir uns natürlich unbedingt ansehen, wenn wir schon mal hier sind, und machen uns auf den Weg Richtung Kathedrale.
Das Spektakel, das uns dort erwartet, übertrifft alle unsere Vorstellungen.

Die Vorbereitungen

Bereits in den Straßen vor der Kathedrale reihen sich Fahrzeug an Fahrzeug, verrostete Kleinwagen, nagelneue Pickups, Minibusse, Lastwagen.

Die Wartezeit wird genutzt, um das Fahrzeug auf das große Ereignis vorzubereiten. Es wird geputzt, geschmückt und mit den erforderlichen Devotionalien ausgestattet.

Um die Kathedrale herum gibt es hierfür unzählige Verkaufsstände, bei denen man alles Erforderliche für seine Autosegnung erwerben kann.

Endlich an der Reihe

Auf den Platz vor der Kathedrale passen etwa zwanzig Fahrzeuge. Sobald diese erfolgreich gesegnet wurden, werden sie vom Platz geleitet. Die Fahrer drehen nun noch ein paar Runden durch Copacabana, um dieses Ereignis ausreichend zu würdigen.

Und nun werden die nächsten Fahrzeuge auf den Platz gefahren. So langsam wird es also ernst. Mit Hochdruck laufen die letzten Vorbereitungen.

Heilige Jungfrauen, Hüte, Blumen, Bierflaschen, alles kommt zum Einsatz.

Und dann heißt es: Warten auf den Padre.

Die Zeremonie

Der Padre stellt sich vor, begrüßt den Fahrzeugbesitzer und die gesamte mitangereiste Familie.

Dann beginnt die Segnung. Der Padre murmelt ein Gebet.

Er taucht eine Plastikblume in einen Eimer mit Weihwasser und verteilt dieses großzügig über der Motorhaube.

Und auch der Innenraum wird gesegnet. Die Besitzerfamilie des Fahrzeugs gibt ausführliche Anweisungen, wo genau das Weihwasser in welchen Mengen erforderlich ist.

Und dann, wenn er schon dabei ist, wird natürlich auch die gesamte Familie gesegnet.

Effektivität

Die Menschen haben eine weite Reise hierher auf sich genommen, da bietet es sich natürlich an, nicht nur das Auto und sich selbst segnen zu lassen, sondern auch gleich alles andere, was einem im Leben wichtig ist.

Und daher wird der Mororraum vollgepackt mit Dingen, die mitgesegnet werden sollen. Was zu groß ist, um unter die Motorhaube zu passen, wie beispielsweise das Eigenheim, wird als Miniatur hineingestellt. Und was nicht dinglich ist, wie beispielsweise ein Schulabschluss, wird durch entsprechende Symbole dargestellt.

Die Feier

Jetzt wird erstmal kräftig auf die erfolgte Segnung angestoßen. Böller werden gezündet. Champagner wird über das Fahrzeug geschüttet.
Zumindest steht Champagner auf den Flaschen drauf, drin wird sicherlich kein Champagner sein wird. Egal, es geht um den Effekt.

Der Fotograf möchten noch ein paar Schnappschüsse machen, um diese an den Fahrzeugbesitzer verkaufen zu können. „Jetzt noch ein kleines Foto zusammen mit dem Padre“, dirigiert er. Die ganze Familie positioniert sich vor dem Auto.

Kaum zu glauben, wie viele Menschen sich anschließend in das frisch gesegnete Auto quetschen und damit losfahren.

Land:Bolivien
Ort:Copacabana
Reisedatum:02.01.2019
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:05.01.2019
Leser bisher:214

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Ingrid Bettels
Einfach, nur sehr gut! Hab selten so gelacht,
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